Egyd Gstaettner. 60 Jahre K. am Woerthersee - Die Brücke

„Egyd Gstättner – 60 Jahre K. am Wörthersee“ | Die Brücke

Gäbe es Egyd Gstättner nicht, müsste man ihn erfinden. Vielleicht ist der Mann, der bevorzugt weinlaubrote oder senfgelbe Kleidung trägt, einzelne Stücke oder Accessoires stets im Burberry-Muster, häufig an einer Süßholzwurzel kaut, gerne mit dem Rad unterwegs ist, bevorzugt in Richtung See oder von diesem zurückkommend, der vor allem seit fast vierzig Jahren literarisch und publizistisch unterwegs ist und sich als „Geburts- und Wahlwestklagenfurter“ seiner Heimat längst eingeschrieben hat und sich dieser immer weiter einschreibt – sich gleichzeitig immer wieder aus dieser hinausschreibt – in Wirklichkeit ohnehin eine Erfindung (seiner selbst)? Für die eigene Literarisierung spricht unter anderem sein „Egyds Büro“ an der Friedelpromenade am Wörthersee, eine Leerstelle im wörtlichen und übertragenen Sinn, wo der Autor, zumindest für mich, noch nicht anzutreffen war, von wo aus in seinen Blick und sein unmittelbares Universum jedoch auf wundervolle Weise einzutauchen ist.


Seit seiner ersten Buchveröffentlichung „Herder, Frauendienst“ im Jahr 1990 steht Egyd Gstättner, der in Klagenfurt Philosophie studiert und promoviert hat, im Dialog mit Künstlerinnen, Literatinnen, Müßiggängerinnen, Abenteurerinnen, Philosoph*innen, kurz mit jeweils originellen Menschen, die aus seiner Sicht zur intellektuellen Entwicklung des Abendlandes, zumindest Mittel- und Südeuropas, beigetragen haben. Allein dadurch weist er über seine Heimat „Hallodrien“ oder „Hintersiebenbergen“ hinaus und stellt den Anspruch, Teil eines kulturellen Gefüges zu sein, in dem von der griechischen Antike über die Philosophie der Aufklärung bis hin zu den Kulturkritikern vom Format eines Egon Friedell oder des Görzer Philosophen Carlo Michelstaedter ein Geist wirksam ist, der den Menschen heraushebt, v.a. aus den Niederungen des lokalpolitischen Alltags.


Humanistischer und sprachlicher Anspruch verbinden sich dabei mit einer Art Volkston, was bei der Rezeption von Gstättners Texten immer wieder für Stadionatmosphäre sorgt, den Literaturbetrieb jedoch nicht selten verlegen bis ratlos zurücklässt. Warum eigentlich – weil die Verbindung von Lachen und Lesen schwer vorstellbar und ergo suspekt ist?


Zugegeben, ganz so einfach und schwarz-weiß ist die Sache nicht, Egyd Gstättner fordert allein auch schon mit der Fülle seiner Kolumnen, Glossen, Kommentare und Bücher heraus. Hinter der geharnischten Kritik und dem vermeintlich fröhlichen Furor blitzt jedoch immer auch die Verletzlichkeit, manchmal sogar Kränkung hervor, und Bilder von einem romantischen Kommissar Sichalich, der ein Schwänepaar mit Tristan und Isolde adressiert („Ein Endsommernachtsalbtraum“, 2012) oder von dem Kind, das beim Eislaufen eingebrochen und von dem nur mehr die rote Mütze sichtbar ist, steigen aus den langjährigen Leseeindrücken hoch („Untergänge“, 1995).


Kaum ein Autor der gegenwärtigen österreichischen Literatur jedenfalls trieb und treibt das (Verwirr-)Spiel mit Fakten und Fiktion so auf die Spitze, die Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Wahrheit gleichsam aushebelnd und dabei immer wieder Volten schlagend, bei welchen sich – und das ist die besonders tiefgreifende Erfahrung im Zusammenhang der Lektüre seiner Texte – immer wieder und vor allem unvermittelt das Absurde, das Nichts – und die Poesie auftun.


In seinem jüngsten Buch „Ich bin Kaiser“ porträtiert Egyd Gstättner in dem lose als Legende oder Märchenerzählung angelegten Text „Die Lendkönigin“ eine aus Graz nach Klagenfurt zugezogene Frauenpersönlichkeit, die, „halb Zirkusartistin, halb Mannweib“, sich als Ideengeberin bzw. Projektmanagerin des damals anstehenden 350-Jahrjubiläums einbringen und zu einer gedeihlichen Zukunft beitragen wollte, bei der ignoranten Stadtregierung jedoch bestenfalls Gelächter hervorrief und sich sodann als Marktfierantin am Alten Platz verdingte und völlig verarmt zugrunde ging. „[…] und außerdem lag der Lendhafen am Meer“, heißt es da in Bezug auf die Versorgung ihres Wagens mit frischem Obst und Gemüse. Der lapidare Satz schlägt nicht nur die Brücke zu einem der berühmtesten Gedichte der wohl berühmtesten Klagenfurterin, sondern weist vor allem über die Realität, über unser aller Begrenzung und Begrenztheit hinaus. Wir dürfen uns glücklich schätzen, dass es Egyd Gstättner (wirklich) gibt.

Von Katharina Herzmansky

Hermansky, Katharina (2022): Egyd Gstättner. 60 Jahre K. am Wörthersee. In: Die Brücke (Nr.33, Brückengeneration 5, Dezember 2022 – Jänner 2023 ), 01.12.2022, S. 37

„Ich bin Kaiser“ ist jetzt erhältlich im Picus Verlag: Picus Verlag

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