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Meine besten Niederlagen

Erzählungen

E

s passiert tagtäglich und allerorten: Ein Erdenbürger verlässt wie gewohnt sein Zuhause – und verschwindet spurlos. Handelt es sich bei dem Abgängigen um eine Person von öffentlichem Interesse – etwa um den Klagenfurter Egyd Gstättner, „einen der bekanntesten Autoren seines Landes“ -, kommt Schwung in die Ermittlungsbürokratie. Der Polizeipräsident höchstselbst wird aktiv.

Die Suche nach dem Literaten Egyd Gstättner bildet den Rahmen des Erzählbandes „Meine besten Niederlagen“ von – Egyd Gstättner. Der reale Autor verarbeitet eigene und fremde Niederlagen zu einem höchst unterhaltsamen und zutiefst philosophischen Verwirrspiel. Er verpasst dem ermittelnden Kommissar zarte Züge eines Alter Ego, indem er ihm ein Germanistik-Philosophie-Studium andichtet. Doch er lässt ihn am Traumjob Lehramt scheitern und so „von der Weltliteratur zum Kriminalschund“ absteigen. Kommissar Sichalich hat also das Zeug zum interdisziplinären Analysten: Als er im Schreibatelier des Abgängigen auf dessen Manuskript von „Meine besten Niederlagen“ stößt, erwacht in ihm der Kriminalpsychologe und der Literaturwissenschafter.

Der Essayist, Roman- und Theaterautor Egyd Gstättner, Jahrgang 1962, hat sich der Satire verschrieben. Er spielt mit der Sprache, mit Gott und der Welt. Seine ausufernden Gedankengänge schließen zusammen, was ohne Zusammenhang zu sein scheint. Dabei durchbricht und doppelt er die Perspektiven. Wer ist real, wer fiktiv? „Stellen Sie sich vor . . . , wir wären bloß die erfundenen Schöpfungen eines Autors, der sich verloren hat und der uns in seinem Buch auf die Suche geschickt hat, um ihn zu finden!“ , verstört Kommissar Sichalich die Gattin des vermissten Autors. Seine Dialoge mit Frau Gstättner fungieren als detektivisches Protokoll – und als roter Faden einer Erzähl-Rallye, die vom frivolen Halloween zum diebesverseuchten Vatikan führt; von Raimunds Hobellied zum Tischlerkonkurs des Vaters und weiter zu den Autoren Holz, Fichte, Schreiner; vom französischen Philosophen Pascal zur Telfser Besamungsanstalt.

In einem Totengespräch rechnet Egyd mit dem Großvater ab ( „der politische Scharfmacher und der philosophische Schlappmacher“ ), gleich darauf misst er Bibel- und Goethe-Zitate an den Niederungen des Alltags, oder spürt den tieferen Bezügen von Wein- und Taufpatenschaft nach.

„13 Geschichten suchen ihren Autor“ lautet der Untertitel des vorliegenden Erzählbandes. Der Bezug zu Luigi Pirandello, dem radikalen Infragesteller aller Sicherheiten, ist durchaus gewollt (siehe dessen Drama „Sechs Personen suchen einen Autor“). Wie der Nobelpreisträger aus Sizilien, lässt auch der mit dem „Standortnachteil“ Klagenfurt ringende Gstättner keinen Zweifel an der Konstruiertheit seiner Geschichten. Er nutzt das desillusionierende Verfahren des Buches im Buch, der Figur in der Figur, um seine Geschichten bis ins Bodenlose zu spiegeln.

In der Erzählung „Tick, Trick und Trakl“ reist Gstättner, nachdem er die Eröffnungsrede zur Ausstellung „150 Jahre Eisenbahn im Burgenland“ gehalten hat, zur Deutschland-Premiere eines seiner Theaterstücke. Der Zug hat Verspätung, und so verpasst der Autor just jenes Stück, das von einem Dichter handelt, der die Uraufführung seines Stückes versäumt . . .

Keiner hält sich an seine Rolle, weder der Autor noch seine Geschöpfe. Gstättner rüttelt an der Verbürgtheit des „Seienden“ wie einst der griechische Philosoph Gorgias. Ihm hat er mit „Der König des Nichts“ (2001) ein Denkmal gesetzt, von ihm hat er „Gorgasser“, ein x-tes Alter Ego, abgeleitet. Auch in den „Besten Niederlagen“ taucht Schriftsteller Gorgasser auf, um die weihnachtliche „Justamenttranszendenz“ zu entzaubern. Dafür heimst er Kritik vom Saunagenossen „Doktor Doderer“ ein, obschon sich jener sehr für „menschliche Seelenlandschaften und Schluchten“ interessiert.

Lustvoll parodiert Gstättner die Großen seiner Zunft, sarkastisch kommentiert er die „kapitalistische Preisleistungsverhältniswahrheit“ des Literaturbetriebes, kokett übt er Selbstkritik. Mit grimmiger Ironie und grotesker Übertreibung rettet er sich und den Leser über das Abgründige des Daseins hinweg.

Quelle: Wiener Zeitung, 2007

Egyd Gstättner: Meine besten Niederlagen. 13 Geschichten suchen ihren Autor. Edition Atelier, Wien 2007, 211 Seiten.

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