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gyd Gstättners neuer Roman „Schreckliches Kind“ rückt eine Zeitmaschine ins Zentrum, die nicht science-fiction-mäßige Zukunftserkenntnisse ins Haus bestellt, sondern einer rückwärtsgewendeten Optik verpflichtet ist, einer Korrekturwut im nachhinein, einer Ich-Werdungs-Verhinderung. Der Verfasser einer kleinen Weltgeschichte der Irrtümer und eines Buches von den sieben Kränkungen der Menschen setzt in diesem schrittweisen Zurückwandern in die Vergangenheit auf die Kraftnahrung des austriakischen Feuilletons, auf das in Kapitel gegliederte und mit Überschrift-Übersichtlichkeit das Lesen erleichternde Ablassen und Abspecken seelischen Übergewichts, des Frustrationsfettes.Doppelhofers Trinkverhalten und die Kleinformats-Modereise nach Indonesien können ebenso zum Sujet und zur Zielscheibe der Bloßstellung werden wie topographisch genau präzisierte Scheußlichkeiten in Wien, Salzburg, Klagenfurt, Bruck an der Mur oder Rom. Gstättner foltert nicht durch Haßtiraden, Schimpfdemagogie und outrierte Atemlosigkeit, er degoutiert nicht durch Benennungswut und Zur-Schau-Stellung von Wissens-Brosamen, er provoziert nicht die Klagen der Anwälte von namentlich Genannten: Bei allen satirischen side-steps bleiben Tonlage und Stimmungsbarometer moderat, er überschreitet niemals Grenzwerte polemischer Beschädigung.
Die Interventionen gegen die eigene Entstehung scheitern übrigens, der Zwischenerfolg des Genusses ohne Reue von nachmaligem Vater und nachmaliger Mutter war nur temporär. Bleibt also nur der Rückzug auf die verbale Abrechnung mit dem Vater, voll von briefstellerischer rhetorischer Bravour. Schließlich geht der negative Schelmenroman mit einem „Wer nicht geboren worden ist, benötigt keinen Tod“ zu Ende. Hat der Freund Doppelhofer, eine personalisierte Mixtur aus Doppelgänger und Bevorzuger von Doppelliterflaschen, es geschafft, unter wiederkehrender Anspielung auf Eichendorffs Taugenichts, auf Don Quixotte und den lieben Augustin mit Zuhilfenahme der Zeitmaschine niemals gezeugt und geboren worden zu sein?
Diese Frage in ihrer Schwankungsbreite zwischen offiziellem Existieren durch weiteres Aufscheinen in Stammdatenblättern, Katastern und elektronischen Speicherwerken sowie mangels des Vorhandenseins von Leiche, Sarg, Grab oder amtlicher Todeserklärung und anderseits Nichtexistieren durch permanente physische Nichtpräsenz bleibt ohne Antwort in diesem sprachlich makellosen Aussteiger-Jokus.
Quelle: Wiener Zeitung, 1999
Gstättner, Egyd : Schreckliches Kind. Roman. Edition Atelier, Wien 1998, 179 Seiten.